26. Oktober 2023: Antisemitismus im Bundestag: ein Exkurs mit Petra Pau

Mit Blick auf die Ereignisse im Nahen Osten hätte die Diskussionsrunde mit der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau in Zwickau nicht aktueller sein können. Antisemitismus ist auch „Ausdruck jahrelanger Versäumnisse auch der Politik“, sagt sie.

Man müsse „den rollenden Schneeball“ zertreten, zitiert Petra Pau den Schriftsteller Erich Kästner Der hatte damit bereits Ende der 1920er-Jahre vor dem Erstarken des Antisemitismus in Deutschland gewarnt. Das wiederholte die Vizepräsidentin des Bundestages (Partei: Die Linke) am Donnerstag in der Zwickauer Domhof-Galerie erneut – fast ein Jahrhundert später.

Der Anlass könnte angesichts der Ereignisse im Nahen Osten aktueller nicht sein. Und so bezieht Petra Pau, deren Thema an diesem Abend vor rund 60 Zuhörern eigentlich der „Antisemitismus im Bundestag“ ist, die Stimmung im gesamten Land ein. Die sei Ausdruck jahrelanger Versäumnisse auch der Politik, sagt die Linken-Politikerin, die sich seit langem im Kuratorium für Christlich-jüdische Zusammenarbeit engagiert. Eingeladen zu diesem Abend hatte die gleichnamige Gesellschaft in Zwickau

In Berlin, so die gebürtige Ost-Berlinerin, würden im Netz die Wohnanschriften jüdischer Familien kursieren, bundesweit sei die Anzahl antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 240 Prozent gestiegen. Verantwortlich dafür seien auch „die Zündler am rechten Rand im Bundestag“. Der AfD-Spitzenkandidat für das EU-Parlament, Maximilian Krah, bediene sich beispielsweise aus dem verbalen Arsenal der 1930er-Jahre. Der Rechtsaußen Björn Höcke verwende bei seinen außerparlamentarischen Auftritten Goebbels-Zitate, die auch im Bundestag – leicht verändert – von AfD-Politikern immer wieder zu hören seien. Antisemitismus sei durchaus „kein importiertes Problem“, sagt Petra Pau. Es bedürfe nicht mal der Anwesenheit eines Juden, um antisemitisch zu agieren. Wichtig sei, die verwendeten Chiffren, Zitate und Symbole zu kennen, um die Hetze gegen Juden einordnen zu können, weist sie auf ein Problem hin, das sie auch an der entsprechenden Ausbildung von Polizisten und Juristen festmacht.
Paus Ausführungen geraten relativ kurz, desto ausführlicher gestaltet sich die Diskussion. Moderator Albrecht Kalusche gibt zunächst seine Begegnung mit einer Mutter und deren kleinem Sohn wider, als er einen Stolperstein zur Erinnerung deportierter Juden in Zwickau fotografierte. Der Kleine habe sich nach seinem Tun erkundigt, und die Mutter habe kindgemäß erklärt, woran diese Steine erinnern. Doch es gibt auch andere Erlebnisse. Eine Teilnehmerin berichtet von antisemitischen Schmierereien, die immer mal wieder im Zwickauer Stadtbild auftauchen. Eine Frau möchte wissen, was die Demokraten im Bundestag dagegen tun, wenn bewusst antisemitische Grauzonen ausgenutzt würden. Paus Antwort scheint ernüchternd: „Die dürfen am Rednerpult fast alles, bis an den Rand der Strafbarkeit“. Oft sei man darauf angewiesen, dass nachfolgende Redner auf entsprechende Behauptungen reagieren. Umso wichtiger sei außerparlamentarische Aufklärung, fügt die Politikerin an.

Die Bekämpfung des Antisemitismus sei nicht Aufgabe der Juden, bekräftigt Pau an diesem Abend mehrmals. Dass es im Bundestag durchaus antisemitische Tendenzen gibt, bestätigt auch der Zwickauer CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Körber. Es gehe zwar nicht zu wie am Stammtisch, zumindest bei einigen Themen sei zwischen den Zeilen aber vieles herauszulesen. Körber spricht von „intellektuellem Antisemitismus“. Vor allem die AfD halte sich mit pro-israelischen Bekundungen angesichts des Terrors der Hamas spürbar zurück, habe er festgestellt. Völlig anders sieht das der Zwickauer AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf Dass Antisemitismus ein rechtes Phänomen sei, weist er als „absurd“ zurück. Er macht eine „heimliche Sympathie der Linken und Grünen mit der arabischen Seite“ aus. Zum Antisemitismus in Deutschland beigetragen hätten zudem die seit 2015 eingewanderten Muslime, sagt Moosdorf.

Von klein auf Respekt vor der Religion des anderen zu erlernen, zieht Petra Pau nach rund 90 Minuten als Fazit, bevor ihr Andreas Meister, Organisator des Abends, eine Dokumentation über den einstigen jüdischen Friedhof in Zwickau überreicht.

Quelle: Torsten Piontkowski: Petra Pau spricht in Zwickau über Antisemitismus und fordert: Von klein auf Respekt lernen  (Freie Presse vom 27.10.2023) https://www.freiepresse.de/zwickau/zwickau/petra-pau-spricht-in-zwickau-ueber-antisemitismus-und-fordert-von-klein-auf-respekt-lernen-artikel13105949

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